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H-Museum


Gedanken zur Ausstellung



Jake und Dinos Chapman : Hell Sixty Five Million Years BC --- Foto: Stephen White - © Jake und Dinos Chapman - Courtesy Jay Jopling / White Cube, London  

Jake & Dinos Chapman
Explaining Christians to Dinosaurs

Kunsthaus Bregenz
(29.01. bis 28.03.2005)

für H-Museum [ 06.02.2005 ]
von Georg Friebe
inatura - Erlebnis Naturschau, Dornbirn




Aus unserer Unterhaltungsindustrie sind Dinosaurier nicht mehr weg zu denken. Der Bogen spannt sich von (populär-)wissenschaftlichem Edu-/Infotainment bis zum umsatzfördenden Dino-Kitsch, vom unberechenbaren Killer bis zum Kuschelmonster. Kurz: Die Dinosaurier haben die Kinderzimmer erobert. Den Paläontologen freut dies, steht doch wenigstens ein Aspekt seiner so oft belächelten Wissenschaft im Rampenlicht. Dass die "Giganten der Vorzeit" in die bildende Kunst Einzug halten, war vorherzusehen. Spannend ist jedoch, wie sich Künstler dem Saurier-Hype stellen.

Unter dem Titel "Explaining Christians to Dinosaurs" zeigt das Kunsthaus Bregenz einen Querschnitt durch das Werk der Brüder Jake und Dinos Chapman, die zu den Hauptvertretern der zeitgenössischen britischen Kunst zählen. Ein Drittel der Ausstellung – der gesamte dritte Stock – ist den Dinosauriern gewidmet. "Hell Sixty-Five Million Years BC" nennt sich die Werkgruppe, die exklusiv für Bregenz konzipiert und realisiert wurde.

Bunt bemalte Dinos aus Wellpappe, Klopapierrollen, Zeitungspapier, Zahnstochern und Styropor sind auf weissen Sockeln im Raum verteilt, an der Decke aufgehängte Flugsaurier scheinen im Raum zu schweben. Unter den papierenen Kunstwerken sind wenige Exemplare aus Bronzeguss versteckt – ebenfalls bunt gefärbt. Es ist zu erwarten, dass die Chapman-Brüder zumindest einige weitere Saurier auf diese Art veredeln und konservieren werden.

Im ersten Eindruck orientieren sich die Dinos an den allseits bekannten Darstellungen in populären (Kinder-)Büchern. Bei genauerer Betrachtung aber fallen Ungereimtheiten auf. Das augenfälligste Merkmal ist sicher die bunte Bemalung. Sie verweist auf ein grosses Problem bei der Rekonstruktion ausgestorbener Lebewesen: Während wir anhand des Skeletts den Körper recht plausibel rekonstruieren können, gibt es absolut keine Informationen über seine Färbung. Nur im Vergleich mit den heute lebenden Reptilien kann auf die Hautfarbe der Dinosaurier geschlossen werden. Der Bogen umfasst also Braun-, Grün und Grautöne, wer aber orange-gesprenkelte Saurier zeichnet, sollte – es sei denn, er ist Künstler – dringend seine Trinkgewohnheiten hinterfragen!


Jake und Dinos Chapman : Explaining Christians to Dinosaurs --- Kunsthaus Bregenz (29.01. bis 28.03.2005), Ausstellungsansicht 3. OG - Foto: Markus Tretter - © Kunsthaus Bregenz, Jake und Dinos Chapman


Jake und Dinos Chapman zeigen die Dinosaurier als "tierische" Tiere. Indem sie sie bei ihren täglichen Verrichtungen darstellen, holen sie die Dinos aus den Kinderzimmern zurück in ein (scheinbar) realistischeres Umfeld. Ihre Verklärung, ja ihre Mystifizierung wird rückgängig gemacht: Dinos sind keine Kuscheltiere, Dinos sind keine "edlen" Lebewesen! Sie sind (oder besser: waren) ganz normale Tiere, mit allen Lebensfunktionen, die auch heute noch den Tieren (und dem Menschen) eigen sind. So finden wir fressende Saurier mit einem einzelnen Haxen oder einem kleinen (Jung-)Tier im Maul, wir finden einen Dino, der gerade "sein Geschäft" verrichtet hat, wir finden Dinos beim Geschlechtsakt. Männlich Exemplare haben übergrosse Hoden, oder sie beschnuppern des Hinterteils des Weibchens – ein Verhalten, das die Künstler wohl beim Hund abgeschaut haben, und das bei Sauriern in dieser Form sicher nicht vorgekommen ist.

Bewusste Verfremdung? – Ja sicher! Weitere Exemplare fallen auf, die nichts mehr mit den Dinos aus den Büchern gemein haben. Bei einem Saurier ist hinten der Körper wie die Ladeklappe eines Flugzeuges geöffnet. Kleinere Tiere kommen heraus. Sicher kein Gebärvorgang, denn die Dinosaurier legten Eier. Irgendwie erinnert die Szene an die Arche Noah, nur dass die Tiere die falsche Richtung gewählt haben. Sie verweigern die Arche, die ihnen ohnehin nichts nützen würde. Der Blick erhebt sich zur Decke, wo bedrohliches, unförmiges, und doch fussballartiges Gebilde hängt, mit flammendem Schweif. Jedes Kind weiss, dass die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren ausgelöscht wurden, als ein Meteorit auf die Erde aufprallte. Die Chapman-Brüder lassen zumindest einige Tiere diese Bedrohung ahnen : Zwei Podeste weiter strebt eine ganze Gruppe von Sauriern in exakt dieselbe Richtung. Wieder denkt man an den Zug der Tiere zur Arche, und wieder bewegen sich die Dinos von der Arche weg und werden so zum Zug von Lemmingen.

Gleichzeitig bieten die Künstler auch Alternativen zum Aussterben der Saurier an. Dass in einer Szene Dinosaurier neben einem Vulkan gezeigt werden, könnte als Griff in die Klischee-Kiste abgetan werden. Und doch wurde vor der Entdeckung des "Kreide-Tertiär-Impakts"" argumentiert, dass die Saurier einem Klimawandel als Folge massiver weltweiter Vulkanausbrüche zum Opfer gefallen sein könnten, als tonnenweise Staub in die Atmosphäre geblasen wurde. Einen Klimawandel anderer Art zeigt eine andere Szene: Zwei Elefanten – wohl eher Mammuts – treiben jeweils auf einer eigenen Eisscholle im Meer. Der Grössenunterschied legt nahe, dass es sich um Muttertier und ihr Junges handelt, die voneinander isoliert wurden, als am Ende der Eiszeit das Packeis zerbrach – übrigens die einzige Szene, die nicht in die gewählte Zeitebene "Sixty-Five Million Years BC" passt.


Jake und Dinos Chapman : Hell Sixty Five Million Years BC --- Foto: Stephen White - © Jake und Dinos Chapman - Courtesy Jay Jopling / White Cube, London


Je genauer man schaut, umso befremdender werden die Papp-Dinos. Ein kopulierendes Paar erinnert mich beim ersten Blick an einen Drachen-Cartoon: Das Männchen speit beim Orgasmus Feuer – sehr zum Leidwesen des Weibchens. Der zweite Blick enthüllt aber die Chapman´sche, wörtliche Dino-Interpretation des Spruchs "ich habe dich zum fressen gern". Oder handelt es sich gar um Leichenschändung? Etwas weiter entfernt knabbert ein huckepack transportiertes Jungtier seine Mutter an. Kein Zweifel - Jake und Dinos Chapman präsentieren ihre Dinosaurier als degeneriert-dekadent! Der Untergang Roms, oder – besser zum Titel passend – von Sodom und Gomorra wären passende Assoziationen. Andere Dinos sind degeneriert-monströs. Sie haben einseitig mehrere, oder zumindest unterschiedlich grosse Augen. Manche sind ins Unmögliche verzerrt: Ein "Chamäleon-Dino" hat eine überlange Zunge zum Beutefang, ein anderes Tier hat Räder statt Beinen, ein drittes gleicht einem Flugzeug.

Der Paläontologe kommt nicht umhin, an die "Typostrophentheorie" zu denken, die Otto Schindewolf in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Gegenpol zur darwinistischen Evolutionstheorie formulierte : Auf eine rasche Entwicklung neuer Lebensformen durch Großmutationen (Typogenese) folgt eine Zeit der Ausbreitung mit nur unwesentlichen Abänderung der zuvor entstanden Typen (Typostase). Die Typolyse schließlich kennzeichnet den Untergang von Bautypen. Die Formen werden immer komplexer, sie neigen zu Extremwuchs (winzigklein oder riesengroß), und es bilden sich Merkmale, die dem Tier keinen unmittelbaren evolutionären Vorteil mehr bieten – so als wollte die Natur in dieser Tiergruppe ein letztes Mal ihr kreatives Potential zeigen. Auch eine Art von "Vergreisung" der Typen glaubte Schindewolf beobachten zu können. Heute wissen wir, dass seine Theorie in weiten Bereichen schlicht auf Überlieferungslücken beruht.


Jake und Dinos Chapman : Hell Sixty Five Million Years BC --- Foto: Stephen White - © Jake und Dinos Chapman - Courtesy Jay Jopling / White Cube, London


Eigentlich hätte in Bregenz ein ganz anderes Objekt gezeigt werden sollen. Doch das in den Jahren 1999-2000 entstandene, grossflächige Werk "Hell" aus dem Besitz der Saatchi Gallery fiel im Mai 2004 einem Brand in einer Londoner Kunstlagerhalle zum Opfer. Dinos Chapman meinte damals: "If the insurers decide the fire is an act of God it's going to be quite funny - that God destroyed Hell."

Gott zerstörte die Hölle – war es das, was auch vor 65 Millionen Jahren passierte? Die "Mördermaschine" Tyrannosaurus rex – selbstverständlich unter den Papp-Sauriern im KUB zu finden – erscheint als der Teufel auf Erden: ein unbarmherziger Killer, der seiner Umgebung das Leben unmöglich machte. Die pervertierten Dinos, die (nach Chapman & Chapman) Sexualpartner oder Mutter fressen, waren seine Gefährten. Und all dies ging mit dem Impakt zugrunde. Doch war das bereits die Hölle? Wohl nicht! Denn der Einschlag des Meteoriten am Rand der Halbinsel Yucatan lieferte ein Szenario, das selbst die kühnsten Höllenvisionen eines Dante Alighieri oder Hieronymus Bosch als niedliches Kaffeekränzchen erscheinen lassen muss. Bei einer Temperatur von etwa 100.000°C verdampften das Projektil und ein beträchtlicher Teil der Gesteine im Einschlagsgebiet. Das glühende Auswurfmaterial wurde Hunderte von Kilometern weit verstreut. Eine Druckwelle raste in weniger als 18 Stunden um die Erde, gefolgt von einer Feuerwalze. Im Umkreis von mindestens 1200 km wurden die Bäume gefällt, verdorrt, und im selben Moment entzündet. Die ungeheuren Staubmengen in der Atmosphäre verhinderten die Abstrahlung der Hitze ins Weltall, und der Weltenbrand wurde noch stärker entfacht. Gleichzeitig lief ein Tsunami um den gesamten Erdball. Impaktnacht, Sturzregen und Impaktwinter sind weitere Folgen, die letztendlich nicht nur die Saurier in einem Massensterben dahin rafften.

"Explaining Christians to Dinosaurs" lautet der Gesamttitel der Schau. Doch was soll nun wem erklärt werden? Den Dinos das Christentum? Der Impact an der Schwelle zur Erdneuzeit als Strafe Gottes für das unchristliche Leben der Dinosaurier, das wäre eine Lesart. Doch knapp zuvor musste den heidnischen – weil 65 Millionen Jahre VOR CHRISTUS lebenden – Herrschern der Welt noch das Warum ihres Untergangs erklärt werden. Jake und Dinos Chapman holen dies bildlich nach.

Und umgekehrt? : Im christlichen Weltbild dürften Saurier erst gar nicht vorkommen! Schliesslich wurde nach fundamentalistischer Auslegung die Welt erst vor ein paar tausend Jahren geschaffen, und über Dinosaurier im Paradies berichtet die Bibel nichts. Und was hätte Noah mit ihnen auch auf der Arche anfangen sollen? Also hat es sie nie gegeben. Oder doch? Auch Kain traf ausserhalb des Paradieses auf Menschen, obwohl es ausser ihm und seinen Eltern Niemanden hätte geben dürfen. In diesem Sinne lässt die Bibel auch Saurier zu, die nun eben nicht zu den paradiesischen Geschöpfen Gottes gehörten, sondern seine "Versuchsobjekte" waren. Als solche waren sie der Sünde geweiht, und mussten in der Sintflut untergehen (was für die Bibel völlig belanglos blieb). So kann der Titel umgedreht werden, und den Christen wird der Untergang der Saurier erklärt!


 

Copyright-Vermerke

  • Jake und Dinos Chapman : Hell Sixty Five Million Years BC. 2004-2005 (Mischtechnik) --- Foto: Stephen White - © Jake und Dinos Chapman - Courtesy Jay Jopling/White Cube, London
  • Jake und Dinos Chapman : Explaining Christians to Dinosaurs --- Kunsthaus Bregenz (29.01. bis 28.03.2005), Ausstellungsansicht 3. OG - Foto: Markus Tretter - © Kunsthaus Bregenz, Jake und Dinos Chapman
  • Higgins, Ch. & Dodd, V. (2004): 50 years of British art lies in ashes. - The Guardian, Thursday May 27, 2004.
    online-Version: http://www.guardian.co.uk/arts/news/story/0,11711,1225678,00.html [letzter Zugriff 31.01.2005]

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Dokument erstellt am 01.02.2005