Abstract No museum without collection. Although - or because - museums curators are working on "their" collections every day, they are inclined to overlook that the significance of collections changed significantly through time. Especially in natural history collections nowadays often tend to be by-products of scientific research. In the early days of modern science collections played a different role: They were a source of knowledge themselves. Seven papers edited by Anke te Heesen and Emma C. Spary focus on different approaches on how knowledge was extracted from private or public museums. Only by repeatedly re-arranging his herbarium Linné was able to establish a new classification of plants. At the same time Brisson and Buffon based their systematic descriptions of bird mostly on the same specimens - the differences in their attitude and conclusions are striking. In the 2nd half of the 18th century a scientific society was founded in Berlin. Weekly meetings were held in the private collections of its members, which were thought as constituents of an imaginary museum. Goethe tried to establish a new classification for minerals proposed by Werner, whereas Waterton called zoological systematics in question. The pathological museum of Virchov served not only in research and lessons but was also meant as a quasi-religious memorial of his main collector. And Charcot used his museum for psychological experiments. In his concluding remarks Nicholas Jardine outlines how the history of collecting could be a new and fruitful discipline within the history of science. "Wenn ich für
einen Menschentyp anfällig bin, Aus Sicht der Museologen scheint die Ausgangslage klar: Eine Sammlung ist objektbezogen. Die Objekte sind Informationsträger, und die Extraktion dieser Informationen ist Ziel der Wissenschaft. Die Sammlung wird zur Basis wissenschaftlicher Arbeit. Dies galt in der Frühzeit der Museen selbstverständlich auch für naturkundliche Sammlungen. Heute jedoch stößt gerade der Naturwissenschaftler mit dieser Definition rasch an grundlegende Grenzen. Die wissenschaftliche Arbeit beginnt im Gelände, und was draußen nicht dokumentiert wurde, kann selbst am Computer kaum mehr rekonstruiert werden. Die Probennahme ist Teil der Dokumentation - und auf die Fragestellung abgestimmt. Aber erst im Zuge der Auswertung wird entschieden, welche Objekte als Belegmaterial zur Studie archiviert werden. Die naturwissenschaftliche Belegsammlung wird so zum Nebenprodukt der Wissenschaft. Und nicht immer werden Objekte gesammelt. Wer sich etwa mit Biodiversität beschäftigt, stützt sich in erster Linie auf Beobachtungsdaten. Ob zur Beobachtung ein musealer Beleg existiert, ist vorerst nebensächlich - ein Szenario, mit dem die "klassische" Museologie wenig anzufangen weiß. Grund genug für den Naturwissenschaftler, sich auf die Anfänge der (Natur-)Museen und die Bedeutung der Sammlung als Wissenspeicher rückzubesinnen. Eine hervorragende Gelegenheit dazu bietet der von Anke te Heesen und Emma C. Spary herausgegebenen Sammelband. Sieben Beträge (davon fünf Originalbeiträge) beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Bedeutungen und Zielen von Sammlungen und Sammlern und deren Wandlungen zwischen Mitte des 18. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Artikel sind chronologisch geordnet. Eine Einleitung der beiden Herausgeberinnen sowie Nachbemerkungen von Nicholas Jardine komplettieren den Band. Als Vater der modernen botanischen und zoologischen Nomenklatur gilt Carl von Linné. Grund genug für Staffan Müller-Wille, sich näher mit Linnés Herbarschrank auseinander zu setzen, der einen grundlegenden Wandel in der Konzeption einer Sammlung dokumentiert. Ziel von Linné war es, seine Herbarbelege durch Vergleiche in eine natürliche Ordnung zu bringen. Dem stand die bisherige Praxis im Wege, Herbarbögen zu einem Buch zu binden und ihnen so eine unverrückbare, künstliche Ordnung aufzuzwingen. Erst mit dem Durchbrechen dieser Praxis, mit der Zerstörung der alten Ordnung und damit verbunden dem ständigen Umsortieren seiner Sammlung konnte Linné den Grundstein für eine neue Ordnung, für eine natürliche Taxonomie und Systematik legen. Emma C. Spary diskutiert in ihrem Beitrag die unterschiedlichen Bedeutungsebenen eines Vogels in Abhängigkeit von den jeweiligen Praktiken und dem Repräsentationsraum, in dem er auftauchte. Zur Zeit Linnés galt in Frankreich den Vögeln das Interesse gleich mehrerer Naturforscher. Obwohl sie teilweise auf dasselbe Material aus der Sammlung von Réaumur zurückgreifen konnten, näherten sie sich ihren Forschungsobjekten auf recht unterschiedliche Weise. Brisson versuchte, die im Grunde konzeptlos-willkürliche Sammlung anhand der äusseren Merkmale der Vögel taxonomisch zu ordnen. Dem gegenüber inkludierte sein Gegner Buffon in die Beschreibung nicht nur die Körperhaltung des Präparats, sondern auch Betrachtungen über die Schöpferkraft der Natur. Seine Ziele gingen über die Brissons weit hinaus: Ausgehend von einer Geschichte des lebenden Tieres formulierte er schlussendlich Biologismen, um der Trägheit und Sittenlosigkeit des Adels die reine Keuschheit der in der freien Natur lebenden Vogelfamilien gegenüber zu stellen. Zweifellos über das Eingangszitat erhaben war jene Gruppe von Sammlern, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur "Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin" zusammengefunden hatten. Anke te Heesen analysiert die Geschichte dieser Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, ein zentrales Naturalienkabinett als Summe der Teilsammlungen der einzelnen Mitglieder aufzubauen. Obwohl eine gemeinsame Sammlung von allen Mitgliedern bestückt wurde, galt das Hauptaugenmerk den wöchentlichen freundschaftlichen Zusammenkünften im "Privatmuseum" jeweils eines Mitglieds, um sich gleichermassen an dessen Exponaten wie an den sozialen Kontakten zu erfreuen. Die Idee des zentralen Kabinetts wurde schließlich von der 1810 gegründeten Universität realisiert, die auch Teile der gemeinsamen Sammlung des Gesellschaft übernahm. Gleichzeitig änderte sich die Bedeutung der Objekte: Nun stand ihr systematischer und lehrhafter Charakter im Vordergrund. Ein Buch über das Sammeln kann eine Persönlichkeit kaum ignorieren: Johann Wolfgang von Goethe. Neben seiner erdwissenschaftlichen Privatsammlung gehörte es zu seinen Aufgaben am Weimarer Hof, öffentliche Sammlungen aufzubauen. Ernst P. Hamm erörtert diese Doppelrolle ebenso wie seine Bemühungen, die Mineralien-Klassifikation von Abraham Gottlob Werner in Form einer Standard-Sammlung zu etablieren. Das krasse Gegenstück zu Goethe war der Exzentriker Charles Waterton, dem der Beitrag von Cristina Grasseni gewidmet ist. Als Taxidermist wurde ihm bewusst, wie sehr bisher die Arbeit des Präparators in die Beschreibungen durch den Wissenschaftler und damit in die Klassifikationssysteme Eingang gefunden hatte. Er schuf eine Phantasiegestalt - den "Unbeschriebenen" - der zwar in ein Naturalienkabinett passte, der aber zwangsläufig die bestehende Ordnung der Dinge unterwandern musste. Indem er ein Abbild dieser Phantasiefigur an den Beginn seiner "Wanderings" setzte, machte er sich nicht nur über seine Kollegen lustig, sondern stellte Reisebeschreibungen als seriöse Informationsquelle generell infrage. Im 19. Jahrhundert waren private Sammlungen als Wissenspeicher zugunsten öffentlicher Institutionen in den Hintergrund getreten. Am Beispiel des Pathologischen Museums zu Berlin zeigt Angela Matyssek, wie Rudolf Virchov die Universitäts-Sammlung nicht nur als Hilfsmittel für Forschung und Lehre sowie als Zentrum der Volksbildung aufbaute, sondern sich selbst damit ein Denkmal zu setzten suchte. Sein Ziel war die Etablierung einer "Musteranstalt für die ganze Welt", die umfassendes Arbeitsmaterial für Pathologen zur Verfügung stellen sollte. Gleichzeitig erfolgte eine Sakralisierung der Objekte, die schlussendlich zur scherzhaften Umbenennung des Museums in "Kaiser-Virchow-Gedächtniskirche" führte. Andreas Mayer deckt dieunkonventionelle Nutzung einer Sammlung auf, um neues Wissen zu generieren, das nicht primär in der Sammlung selbst verborgen lag. Ausgangspunkt ist ein Wissenschaftlerschaftlerstreit zwischen Paris und Nancy, welche Rolle der Arzt bzw. die realen Objekte für den Verlauf von Hypnoseexperimenten spielen. Jean-Martin Charcot machte "sein" Museum an der Pariser Salpêtrière zum Schauplatz seiner Experimente, in die auch museale Objekte einbezogen wurden. Am Beispiel der Büste des Hirnanatomen Franz Josef Gall wird deutlich, wie Musealien an der Sichtbarmachung des Unbewussten mitwirkten. In seinem Abschlusskommentar lässt Nicholas Jardine die Beiträge des Aufsatzbandes Revue passieren und diskutiert, wie eine Neubewertung der Sammlungen neue Impulse für Wissenschafts- und Kulturgeschichte liefern kann, nicht ohne dabei auch auf mögliche Probleme hinzuweisen. Bleibt die Frage nach dem Zielpublikum des Bandes. Während Sammlungskuratoren und Museumskommunikatoren bestrebt sein sollten, Sprachbarrieren zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu überwinden, ist es offenbar auch in der Museologie und Sammlungsgeschichte als Wissenschaft üblich, Fachkompetenz durch eine abgehobene Sprache unter Beweis zu stellen. So spannend die einzelnen Beiträge für ein breiteres Publikum wären, wird das Lesevergnügen durch ungewöhnliche Ausdrücke und Fremdwörter etwas getrübt. Doch dies soll niemanden davon abhalten, in diesem Band neue Aspekte des Sammelns kennen zu lernen - auch wenn er / sie selbst kein Fachwissenschaftler ist. Das Eingangszitat stammt aus:
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