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Gedanken zur Ausstellung

© Marco Evaristti  

Marco Evaristti
Pink State

Kunstraum Dornbirn
24. Juni bis 15. August 2005


von Georg Friebe
inatura - Erlebnis Naturschau, Dornbirn


 


 

Einst – so berichtet ein Schwank – fiel ein Bauer in Ungnade und wurde unter Hausarrest gestellt. Er durfte seinen Grund und Boden nicht mehr verlassen. Der Ausweg aus dem Dilemma war so einfach wie genial: Ein Karren voll Erde von heimatlichen Hof ermöglichte ihm, weiterhin seinen Geschäften nachzugehen. Es durfte nur nicht vom Karren absteigen. Der Verbannungsort wurde so zum mobilen Asyl.

Ganz andere Bedeutung hat die Heimaterde für den Auswanderer. In ihr ist er verwurzelt, in sie will er zurückkehren. Und so bittet der Freund aus Amerika im Gedicht Peter Roseggers: "Schicke mir Erde aus Steiermark, muss Weib und Kind begraben!"

Heimaterde ist etwas wundervolles und als "wunderhold" besangen sie unsere Vorfahren in ihrer Hymne. Ohne Ende gesegnet sollte sie sein, und doch war nicht die Erde selbst gemeint, sondern der Staat und seine politische Führung: Erde als Machtsymbol des Herrschers.


ENTER MARCO EVARISTTI

Der chilenisch-dänische Künstler Marco Evaristti liebt es, die Idylle zu zerstören. Und er stellt unbequeme Fragen. Wem gehört die Heimaterde? Dem Bauern, der auf ihr spazieren fährt? Dem Auswanderer, der sie sich schicken lässt? Oder gar dem Staat? Und was vor allem geschieht, wenn Heimaterde aus den Hoheitsgebieten von vier souveränen Staaten vermischt wird? Wer ist dann der Besitzer, und welche Heimat, welchen Staat repräsentiert sie?

Marco Evaristti gibt die Antwort gleich selbst: Die bisherigen Eigentümerstaaten haben ihre Rechte verwirkt. Damit es zu keinen diplomatischen Verwirrungen kommt, wenn drei Staaten in der Kubatur ihres Hoheitsgebietes beraubt werden und das entwendete Land im vierten Staat deponiert wird, hat Marco Evaristti kurzerhand einen fünften Staat ausgerufen, den Pink State. Österreich, Deutschland, die Schweiz und Liechtenstein wurden "geplündert", um im Kunstraum Dornbirn eine Kunstlandschaft zu schaffen. Österreich musste auch ein wenig Fläche hergeben: Marco Evaristti erklärte am 23. Juni den Pink State für frei und unabhängig. Denn Menschlichkeit, Freude und Wohlwollen sind aus Österreich verschwunden, begründet Evaristti seine Staatsgründung. Im Pink State bekommen sie wieder ihre angestammte Bedeutung.

Fast jeder ist im Pink State willkommen. Doch wie bei jedem Grenzübergang gilt: Wer in den Pink State einreisen will, braucht ein gültiges Reisedokument. Und es gibt die Pink List, ein Verzeichnis derjenigen Personen, die im Pink State absolut unerwünscht sind (vorwiegend rechtslastige Politiker). Ist der Grenzbalken überwunden, so kann man in einem Pink Cube die Unabhängigkeitserklärung des Staates studieren. Danach heisst der Pink Elephant als Wappentier die Besucher willkommen. Das Staatsgebiet ist ein künstliches Wildland, mit einem Fels-Hügel, mit Bäumen, mit einem Teich. Doch das Wasser des Teiches ist pink. Dass dies die Fische darinnen schrecken und stressen könnte, wurde von veterinärmedizinischer Seite im Vorfeld der Staatsgründung zu bedenken gegeben. Ganz im Gegenteil: durch das Trübe Wasser fühlen sich die Fische vor den Blicken der Besucher geschützt. Und über allem hängt ein grossformatiges Poster von einer früheren Arbeit Evaristtis: dem Ice Cube Project. Vor Grönland hatte er einen Eisberg mit Lebensmittelfarbe rot gefärbt und zu seinem privaten Territorium erklärt. Umweltverschmutzung war der Hauptvorwurf, der gegen ihn erhoben wurde, ist Lebensmittelfarbe doch bekanntlich um etliches giftiger als aller Sondermüll, der tagtäglich in den Weltmeeren entsorgt wird.

Das Gesamtkunstwerk wäre unvollständig ohne die zugehörige Website. Auf http://www.pinkstate.com/ können nicht nur Unabhängigkeitserklärung und Verfassung studiert werden. Die Pink List lädt zum Mitdiskutieren ein, und eine elephantöses Waffenarsenal (natürlich in pink) bringt selbst Militaristen zum schmunzeln. Informationen über den Künstler dürfen nicht fehlen. Selbstverständlich ist die Website auch in der Ausstellung zugänglich.

Bereits am ersten Tag seines Bestehens konnte sich der Pink State bewähren. Der Vorarlberger Künstler Jamata beantragte politisches Asyl. In Fussfesseln und Ketten erschein er vor dem Kalifen Evaristti, um seine Verfolgung durch die österreichischen Behörden zu klagen. Das Asyl wurde gewährt, allerdings unter der Bedingung, dass der Asylant das Staatsgebiet für die Dauer dessen Bestehens nicht verlassen dürfe. Der Kalif würde für die Verpflegung aufkommen. Da waren Jamata zehn Stunden Haft in Österreich nun doch lieber!

Bei Österreichs "politischen Evertebraten" hat die Unabhängigkeitserklärung des Pink State wenig Eindruck hinterlassen. Denn Staatsgründungen haben in Österreich Tradition. Evaristti als Epigone? Wohl kaum. Als Edwin Lipburger in den frühren 1970er-Jahren seine "Unabhängige Republik Kugelmugel" ausrief, war dies eher eine Tat der Verzweiflung denn künstlerisches Kalkül. Auf dem Grundstück eines Landwirtes in der Gemeinde Katzelsdorf hatte Lipburger ein Haus in Form einer Kugel errichtet. Um eine Baugenehmigung hatte er sich erst gar nicht bemüht. Er hätte sie ohnehin nicht bekommen, denn ein kugelförmiges Haus entspricht nicht dem "ortsüblichen Baustil". Um den Kleinkrieg mit den Behörden zu beenden, erklärte er sein Haus kurzerhand für unabhängig. Doch damit ging es erst richtig los: Zehn Wochen Haft wegen "Amtsanmassung" waren die Folge, und die Boulevardpresse konnte ihre Umsatzzahlen beträchtlich steigern. Heute erreicht die Badehose des Finanzministers grösseres Medieninteresse.

In einem Land, in dem selbst die Besitzverhältnisse von "Niemandsland" gesetzlich geregelt sind, erscheinen die Hintergedanken um Evaristtis Staatsgründung anachronistisch. Dass sie es nicht sind, zeigen die juristischen Spitzfindigkeiten rund um die Grossrutschung Rindberg bei Sibratsgfäll: Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Haus auf das Nachbargrundstück rutscht, doch wenn es geschieht, so beschäftigt dies ganze Heerscharen von Juristen!



http://www.pinkstate.com/
http://www.evaristti.com/
http://www.kunstraumdornbirn.at/



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© MMV by J. Georg Friebe
Dokument erstellt am 27.06.2005
georg.friebe@dornbirn.at