Daß man durch einige Proben von allerhand Bau-Arten Ein Architekt feiert seinen 350. Geburtstag - oder besser: ein Museum feiert ihn, denn der Architekt ist seit 284 Jahren tot. Wie könnte die Ausstellung aussehen? Die wichtigsten Lebensdaten müssen schon sein, Eltern, Förderer, die markantesten Stationen in seinem Leben. Und natürlich seine Werke, als Stiche, Bilder, vielleicht sogar als Modelle. Ein grosser Architekt beeinflusst die Welt - wie denken seine Nachfolger über ihn? Also schnell noch zwei, drei Video-Interviews als Ergänzung zur Flachware, das ganze nett drapiert, und schon kann der Ansturm (?) der Bildungsbürger kommen. Von einer derart langweiligen, konventionellen Ausstellungsgestaltung wollten das Stadtmuseum Graz und die Architektengruppe SPLITTERWERK nichts wissen. Johann Bernhard Fischer von Erlach lebt, denn seine Architektur ist aktueller denn je. Er selbst gibt die Richtung vor: Das Auge des Besuchers zu ergötzen, ihm durch sinnliche Eindrücke das Werk des wichtigsten österreichischen Barockbaumeisters erfahrbar machen, ist wichtiger, als die Gelehrten zu belehren. Kein Schilderwald, kein Textfriedhof sollte die Ausstellung werden, sondern ein emotionales Erleben von Architektur um den Geist des Betrachters zu öffnen, und um ihn zu inspirieren. Dabei beginnt alles so harmlos konventionell. "Stiche aus eigenen Beständen" werden in einem Nebenraum zum Museumsfoyer gezeigt, und es ist empfehlenswert, sich dort einen Überblick über die wichtigsten Werke Fischer von Erlachs zu verschaffen. Daneben läuft in einer Nische ein Video, ein Betrag des ORF zum 350. Geburtstag des Barockbaumeisters. Der Film ist kurz genug, und die wenigen Minuten zu investieren lohnt sich. Denn nicht die Wiener Karlskirche präsentiert der wissenschaftliche Kurator der Ausstellung, Andreas Kreul, als Hauptwerk Fischer von Erlachs, sondern sein architekturgeschichtliches Werk "Entwurff einer Historischen Architectur", in dem er "vorurteilsfrei alle Architektur, die es gab, weltweit als gleichwertig betrachtete" (A. Kreul). Ein Werk, das solch einen Anspruch erhebt, ist niemals abgeschlossen, und muss, solange es Architektur gibt, fortgeschrieben werden. Hier setzt ein Gedankenspiel von SPLITTERWERK an: Was könnte Fischer von Erlach heute in seinen "Entwurff" aufnehmen? Doch davon später. Im Stiegenhaus übernimmt SPLITTERWERK die Ausstellungsgestaltung. Hier wird das Ausstellungsmotto eingeführt, hier beginnt das Ende der biedermeierlichen Betrachtungsweise über Fischer von Erlach. Denn was jetzt kommt, kann bei Museumsdesignern Zornesröte, bei Museumspädagogen Angstschauer hervor rufen. Nichts ist so "wie es sein soll", und das ist gut so! Der Besucher steht zunächst etwas ratlos im Foyer vor den drei Türen, vernimmt merkwürdige Geräusche. Er weiss nicht so recht, wohin sich wenden. Ein "roter Faden" kommt im Raumkonzept von SPLITTERWERK nicht vor. Der Besucher ist aufgefordert, selbst zu agieren, sich zu bewegen - körperlich wie geistig. Die Reihenfolge, in der er die drei Räume betritt, ist belanglos, denn in jedem wartet eine andere Erfahrung. "Karlskirche" nennt sich ein Raum, und folgerichtig finden sich dort Reproduktionen von Stichen aus dem "Entwurff einer Historischen Architectur". Sie zeigen Grundrisse, Aufrisse und Schnitte des Gotteshauses, und auf jedem Stich ist in roter Handschrift ein Statement eines Zeitgenossen oder eines Bewunderers aus einer späteren Epoche, und auch ein Bibelzitat zu finden. Wieder ist der Besucher irritiert: Wer sind diese Leute, was bedeuten die teils französischen Texte? Objektbeschriftungen fehlen. Draussen im Foyer liegt ein Begleittext auf, der diese (und andere Fragen) beantwortet. Auch die Beleuchtung scheint im ersten Moment mangelhaft, bis man den Spot bemerkt, der immer ein anderes Detail exemplarisch herausstreicht: Auch innerhalb der einzelnen Räume entzieht sich der Besuch einem klaren Rundkurs. Was in anderen Häusern das Aufsichtspersonal zur Verzweiflung treibt, ist hier ausdrücklich erwünscht! Die Geräuschkulisse wird klarer. Ohne Überlagerung durch die Beschallung der beiden anderen Räume löst sich die Kakophonie auf. Und dennoch ist die Musik ungewohnt, aber nicht unangenehm. Sie hat etwas Meditatives, das der Beschaulichkeit eines Gotteshauses angemessen wirkt. Der Besucher muss sich entscheiden: Will er sich auf diese Inszenierung für Auge und Ohr weiter einlassen? Dem Entwurff einer Historischen Architectur ist ein anderer Raum gewidmet. SPLITTERWERK sieht dieses Kompendium lediglich als Momentaufnahme, und macht Vorschläge, wie Fischer von Erlach sein Werk weiter geschrieben haben könnte. Wieder werden Stiche gezeigt, nun aber überlagert von Architekturentwürfen des letzten Jahrhunderts. Der Beitrag von Adolf Loos zum Wettbewerb des Chicago-Tribune-Bürohauses steht über dem ägyptischen Grab des König Sotis, Archigram´s "Walking City" wird den ägyptischen Pyramiden gegenüber gestellt. Die Auswahl zeigt SPLITTERWERKs Hang zum Utopisch-Gigantomanischen, zu Bauwerken, die den Rahmen der Konvention sprengen. Die Musik lässt Anklänge an Choräle erkennen. Auch der Komponist Ralf Freudenberger stellt sich die Frage "Was wäre wenn" und versetzt Johann Joseph Fux unter die Minimalisten. Zitate aus dessen Kompositionen arrangiert er in Loops und verfremdet sie so bis zur Unkenntlichkeit. Fux wird in die Gegenwart transformiert, die Samples gewinnen durch das minimalistische Treatment meditative Kraft. "Kaiserforum" wird der dritte (oder doch der erste?) Raum genannt. Die weite Fläche des Glacis zwischen Karlskirche, Hofstallungen und Hofburg hat Fischer von Erlach im Stich festgehalten. SPLITTERWERK verändert diesen Stadtplan, unterlegt ihn mit Ornamenten von Kastanienblättern (obwohl das psychedelische Zusammenspiel von Licht und Ton Hanfblätter als passender erscheinen lässt) und färbt ihn ein. Neun Colourprints auf Leinwand sind so entstanden. Wechselndes farbiges Licht gibt den Bildern eine neue Dimension, das alte Spiel mit Komplementärfarben liefert neue, immer wieder verblüffende Effekte. Ist einmal der Rapport klar zu erkennen und erinnert das Bild so an ein stärker komprimiertes JPEG, so wirkt derselbe Colourprint bei anderem Licht flach, um Minuten später einen plastischen Eindruck zu hinterlassen. Spätestens hier wird klar: SPLITTERWERK liebt das Ornament, und wenn Adolf Loos einst zu dem Schluss kam, dass Ornament Verbrechen sei, so bekennt sich SPLITTERWERK schuldig im Sinne der Anklage. Muster und ihre Wiederholung im Ornament finden sich gleicher Weise in der Architektur von SPLITTERWERK wie in der minimalistischen Musik von Ralf Freudenberger. Muster und Ornament finden sich auch im Werk Fischer von Erlachs, und sie leiten über zum letzten Raum, dem "Stiegenhaus im Winterpalais des Prinzen Eugen". Er ist nicht zugänglich, nur die beiden Nicht-Durchgänge vom "Kaiserforum" und vom "Entwurff" erlauben Einblicke. Gegenüber den Durchgängen laufen Videos in ewigen Loops synchron zur Musik im jeweiligen Raum. Dennoch sind Bild und Ton voneinander unabhängig. Die Loops sind von unterschiedlicher Länge, und so kommt es zu Verschiebungen, die ständig neue Überschneidungen von Mikrorhythmen generieren und wieder auflösen. Die Videos basieren auf einer im Internet zugänglichen interaktiven 60-Grad-Panoramatour durch eben dieses Stiegenhaus. Die Bilder wurden im Studio vergrössert nachbearbeitet, überzeichnet und im Rhythmus der beiden Kompositionen arrangiert. Auch Stiegenhäuser sind Loops, und das immer wiederkehrende Einschleifen von Bewegungs- und Erschliessungsflächen macht Stiegenhäuser zu Bewegungsräumen. Wundert es noch, dass Objekttexte fehlen? Meditativ-sinnlich soll der Zugang zu Fischer von Erlach sein, ohne dem Besucher eine vorgefasste Meinung aufzudrängen. Das Werk erfahren, über Musik und Licht Stimmungen rezipieren und dadurch seinen eigenen, ganz persönlichen Zugang eröffnen, "das Auge des Liebhabers zu ergötzen" - würden hier Texte nicht stören? Wer durch die sinnliche Erfahrung neugierig geworden ist, kann im Nicht-Katalog weitere Anregungen finden. Nur 2,- Euro kostet die kleine Broschüre mit zusätzlichen Informationen, die nicht als klassischer Katalog gelten kann (nur die Textzitate zur Karlskirche sind "in Reihenfolge" gebracht), sondern als eine Art Lexikon. Alle in der Ausstellung zitierten Künstler und Konzepte sind alphabetisch aufgeführt, und wie in einem "echten" Lexikon wurde mit Querverweisen nicht gespart. Auch hier wird keine Reihenfolge vorgegeben, und der Leser kann sich frei bewegen. Die Ausstellung zwingt zur Kontemplation. Auge und Ohr sind gleichermassen angesprochen und gefordert, sich mit dem Gebotenen auseinander zu setzen. Erst Licht und Ton gemeinsam ergeben Loops von Gesamtimpressionen, die sich immer neu formieren. Wer die Ausstellung nach klassischen museologischen Kriterien messen möchte, sollte draussen bleiben, wer schulmeisterliche Belehrung und Analyse sucht, hat hier nichts verloren! Wer sich aber auf die Erfahrung einlässt, sich Österreichs bedeutendstem Barockbaumeister auf emotionaler Ebene zu nähern, wird dies nicht bereuen! Man hasst diese Ausstellung, oder man liebt sie! Dazwischen gibt es keine Alternativen. Links
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