Der Heilige Beatus
lebte in einer Drachenhöhle


Wie bei so vielen frühchristlichen Heiligen wissen wir kaum etwas über das Leben des Heiligen Beatus. Legenden haben die wenigen historischen Fakten überdeckt. Selbst seine Herkunft bleibt im Dunkeln. Er stamme aus Britannien, heisst es in einer Überlieferung. Dort habe er seinen Reichtum den Armen gegeben, und sei dann zur Zeit Neros in Rom von Petrus getauft worden. Anschliessend zog er als Apostel der Helvetier über die Alpen. Nach einer anderen Version soll Beatus im 3. Jahrhundert den Thunersee von Westen kommend erreicht haben. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass Beatus zu jenen irischen Glaubensboten gehörte, die im 6 Jahrhundert die Schweiz und die angrenzenden Landstriche christianisierten.

Der Heilige Beatus überwindet den Drachen. Holzschnitt von Urs Graf, 1511

Auf jeden Fall erreichte er gemeinsam mit seinem Gefährten Justus den Thunersee. In Sundlauenen berichteten ihm die Bauern von einem schrecklichen Drachen, der in einer nahen Höhle hauste und von dort aus das Land terrorisierte. Beatus und Justus zögerten nicht lange. Sie liessen sich über den See rudern und drangen zur Drachenhöhle vor.

Alleine stieg Beatus den Berg hinan. Und natürlich schoss der Drache aus der Höhle hervor, spie Feuer und wollte sich mit flammenden Augen auf den Feind stürzen. Doch Beatus erhob nur das Kreuz und beschwor das Untier unter Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit. Das war zu viel für den Drachen! Ohnmächtig stürzte er über die Felswände hinab in den Thunersee. Der See aber begann dabei in heisser Wallung zu kochen.

Zum Zeichen, dass das Ungeheuer auch wirklich besiegt war, wählten die beiden heiligen Männer die ehemalige Drachenhöhle zu ihrem Wohnsitz. Im 90. Lebensjahr schliesslich starb Beatus und wurde vor der Höhle begraben.

Diese Legenden wurden lange Zeit nur mündlich tradiert. Erst am Vorabend der Reformation entschlossen sich die Mönche zu Interlaken, das Leben des Heiligen auch schriftlich festzuhalten. Wann die Beatushöhle zum Wallfahrtsort wurde, ist unbekannt. Im 15. Jahrhundert wurde Beatus zum angesehensten "Kantonsheiligen", als er im Jahr 1439 nach einem Bittgottesdienst die Pest bannte. Auch in Wassernöten wurde er angerufen. Aber nicht einmal 100 Jahre später fand die Beatus-Verehrung ein jähes Ende. 1528 trat Bern zur Reformation über, und der Kult wurde verboten. Ein letzter Protest der Bevölkerung am 31. Oktober war rasch unterdrückt. Das Drachenloch wurde zugemauert.

Erst im 18. Jahrhundert wurde die Höhle wiederentdeckt. Jetzt nahmen sich die Naturbeflissenen ihrer an, und in der Folgezeit entdeckten die Naturforscher ein ausgedehntes Höhlensystem. Ein Teil davon ist heute als Schauhöhle zugänglich.

Der Heilige Beatus

Wie so oft wurden wohl auch in Sundlauenen die ungestümen Wässer als Drache personifiziert. Dass sie aus einer Karsthöhle hervorbrachen, machte sie nur umso verdächtiger. Zudem war die Höhle bereits zu prähistorischer Zeit bekannt und wurde als Heiligtum verehrt. Mit der bildlichen Überwindung des Drachen wurden auch die letzten Reminiszenzen an den vorchristlichen Kult beseitigt. Das ehemals heidnische Heiligtum wurde so für das Christentum "erobert"!

Dass der See kochte, als der Drache in ihn stürzte, muss anders erklärt werden. Im Umfeld der Höhle fallen die Felswände steil zum See hin ab. Es wäre naheliegend, dass in der Legende die Erinnerung an einen Felssturz weiter lebt. Tatsächlich ging einst bei Ralligen (ca. 5-7 km NW der St. Beatus-Höhle) ein Bergsturz nieder. Und doch ist dies nicht das gesuchte Motiv für die Drachensage! Denn das "Kochen" des Sees wird auch an anderer Stelle beschrieben: Der Chronist Fredegar soll um das Jahr 700 berichtet haben, der See sei diesen Sommer so heiss gewesen, dass er brodelte und die Fische kochten. Hätte er einen Felssturz beschrieben, so wären ihm die Auswirkungen auf das bewohnte Land sicher nicht entgangen. Die Lösung liegt unter dem Wasserspiegel!

Bei Sundlauenen gibt es eine Karstquelle, die unter der Wasseroberfläche in den See mündet. Bei normaler Wasserführung macht sie sich nicht bemerkbar. Auch die Schneeschmelze, ein durchschnittliches Gewitter, oder ein wochenlanger Landregen haben keine Auswirkungen. Aber bei Starkregen kann der Wasserspiegel in der Höhle derart ansteigen, dass sich der Wasseraustritt an der Oberfläche durch brodeln, oft aber nur durch eine leichte Verfärbung zeigt. Das Phänomen dauert ein bis zwei Tage an. In früheren Zeiten, wo Jahrhundert-Hochwässer wirklich nur alle 100 Jahre stattfanden, war es ein grosser Zufall, die Quelle "kochen" zu sehen. So konnte die Erscheinung als singuläres Ereignis gedeutet und dem Drachensturz zugeschrieben werden.


 

Quellen



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Erstellt am 14.10.2004 --- geändert 24.10.2004