Cadmus



Es begann damit, dass Jupiter wieder einmal verliebt war. Europa hiess diesmal die Auserwählte, und der Göttervater raubte sie in Gestalt eines Stieres. Ihr Vater aber sandte seinen Sohn Cadmus aus, sie zu suchen. Natürlich vergebens. Hilfesuchend fragte Cadmus das Orakel von Delphi um Rat. Dort erhielt er die kryptische Auskunft:


»Ein Rind wird dir auf einsamen Feldern begegnen; es hat noch kein Joch zu spüren bekommen und noch nie den krummen Pflug gezogen. Laß dich von ihm führen. Wo es dann im Grase ausruht, sollst du Mauern bauen und sie nach dem Rinde benennen.«

Euro(pa), vom Stier ent/verführt - der Anfang unserer Geschichte !

Das Rind war bald gefunden, und Cadmus folgte ihm. Als es sich dann endlich im Gras ausruhte, wollte Cadmus ein Dankopfer bringen, und schickte Diener aus auf die Suche nach Quellwasser. Und sie fanden nicht nur eine Quelle:

Hier verbarg sich in der Grotte eine Schlange, die dem Mars heilig war. Ein goldener Kamm schmückt sie, Feuer sprühen die Augen, der Leib ist ganz von Gift geschwollen, drei Zungen blitzen hervor, in drei Reihen stehen die Zähne da.

Kurz - keiner der Krieger überlebte. Der besorgte Cadmus suchte seine Kameraden, traf auf den Drachen und schwor Rache.

Cadmus tötet den Drachen mit Steinwürfen (nach einem antiken Vasengemälde)

Sprach's, hob mit der Rechten einen Felsen, gross wie ein Mühlstein, auf und schleuderte den mächtigen Block mit mächtigem Schwung. Durch seinen Aufprall wären steile Mauern mit hohen Türmen ins Wanken geraten, doch die Schlange blieb unverletzt. Wie ein Panzer schützten sie die Schuppen und die harte schwarze Haut. So prallte der kräftige Schlag an ihr ab. Aber dem Wurfspiess widerstand sie nicht mit der gleichen Härte; er blieb mitten in einer Krümmung des geschmeidigen Rückgrats stecken, und die eiserne Spitze drang ganz in ihre Eingeweide. Wild vor Schmerz drehte sie den Kopf dem eigenen Rücken zu, blickte die Wunde an und biss in den Speerschaft, der fest darin stak, lockerte ihn mit grosser Anstrengung nach allen Richtungen und riss ihn mit Mühe aus dem Rücken. Die Spitze freilich blieb in den Knochen stecken. Doch jetzt nachdem zu ihrer üblichen Wut ein neuer Anlass hinzugekommen war, schwoll ihr der Hals, und die Adern füllten sich. Weisslicher Schaum trieft rings vom verderbenbringenden Rachen, die Erde dröhnt unter den Schuppen, die über sie hinscheuern, und der schwarze Atem aus dem Höllenrachen schwängert die Luft mit Gift. Bald schliesst sie ihre Windungen zu einem ungeheuren Kreis, bald reckt sie sich empor, aufrecht wie der Stamm eines hohen Baumes, bald stürmt sie mit wilder Wucht dahin wie ein von Regen angeschwollener Strom und wälzt mit der Brust Wälder nieder, die ihr im Wege stehen. Da weicht Agenors Sohn etwas zurück, hält in seinem Löwenfell den Angriffen stand und hemmt mit vorgestreckter Lanze den Rachen, der ihn bedrängt. Der Lindwurm ist wütend, versucht vergeblich, das harte Eisen zu verwunden, und will die Zähne in die Speerspitze schlagen. Schon hatte vom giftigen Gaumen Blut zu fliessen begonnen und das grüne Gras mit Rot besprengt. Doch die Verwundung war nur leicht, weil sich die Schlange aus der Reichweite der Stösse zurückzog, den verwundeten Hals nach hinten bog, durch Ausweichen verhinderte, daß ein Hieb richtig saß, und die Waffe nicht tiefer eindringen ließ. Endlich stiess Agenors Sohn ihr das Eisen in die Kehle, drängte und schob sie immer weiter vor sich her, bis der Zurückweichenden eine Eiche im Wege stand und ihr Nacken am Holz aufgespiesst wurde.

Athene aber befahl dem Cadmus, die Zähne des Drachen zu säen als Keim seines künftigen Volkes. Die Saat ging auf, und stattliche Krieger entstiegen dem Acker. Doch sie töteten sich gegenseitig. Nur fünf überlebten. Gemeinsam mit diesen gründete Cadmus die Stadt Theben.

Später hatte sich Cadmus mit dem Kriegsgott versöhnt. Er heiratete Harmonia, Tochter des Mars und der Venus. In hohem Alter verliess er Theben. Und als es sich seiner Jugendtaten erinnerte, meinte er:

class="zit"> »War etwa jene Schlange, die mein Speer durchbohrte, heilig, damals, als ich, aus Sidon kommend, die Drachenzähne als neuartige Saat auf den Boden streute? Rächt die Vorsehung der Götter diese Schlange mit so unerbittlichem Zorn, so bitte ich darum, selbst zur Schlange mit langgestrecktem Bauch zu werden.« Sprachs, und wie eine Schlange streckt er sich in die Länge, fühlt, wie auf seiner hart gewordenen Haut Schuppen wachsen und seinen Leib, der sich schwarz färbt, blaue Tupfen beleben. Vornüber fällt er auf die Brust, die Schenkel schließen sich zusammen und verjüngen sich allmählich zur Schwanzspitze.

Auch Harmonia wurde zur Schlange. Heute noch fliehen sie nicht vor Menschen, tun ihnen nichts zuleide und erinnern sich als zahme Drachen daran, was sie früher gewesen sind.



Quellen

  • P. Ovidius Naso (43 v. - 17 n. Chr.): Metamorphosen. - übertragen von M. v. Albrecht, Goldmann Klassiker Bd. 7513, 480 S., München (Wilhelm Goldmann Verlag), 1981 / 1988. [Zitate]
  • Vollmer (1874): Wörterbuch der Mythologie. 3. Aufl., LXX & 456 S., Stuttgart (Hoffmann'sche Verlagsbuchhandlung). - 7. Reprint 1990, Zentralantiquariat der DDR, Reprintverlag Leipzig; Ausgabe für Fourier Verlag, Wiesbaden. [Abbildung]


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© MCMXCVII / MMIII by J. Georg Friebe
Erstellt 1997
Letzte Änderungen 11.01.2003