Ladenschlange und Krönleinnatter



Laden- oder Stranitzenschlangen sind eigentlich keine Drachen. Sie sind Gebrauchsgegenstand, Dekoration und Zeichen von Reichtum in einem. Im vorigen Jahrhundert hingen sie in Geschäften über der Verkaufstheke. An der Schlange waren Haken, an denen Papiertüten hingen. Musste der Kaufmann etwas verpacken, so griff er nach oben und riss eine der Tüten ab. Diesen Stranitzen (in Österreich: Stanitzel - heute mehr für die Eistüte verwendet) verdanken sie ihren zweiten Namen.

Das Heimatmuseum zu Bad Tölz beherbergt gleich zwei Stranitzenschlangen aus dem 18. Jahrhundert. Die eine ist völlig glatt, wie eine Schlange sein soll, aber mit drachenartigem Kopf. Sie hat zwar keine Ohren, aber Nüstern, und die Augen ähneln denen mancher Säugetiere. Die andere ist ein fliegender Drache, der eine Kugel im Maul trägt. Die Ohren sind auffallend gross. Seine Brust ist behaart, der restliche Körper glatt. Die beiden Beine enden in Adlerklauen.

Die Ladenschlange im Heimatmuseum Ruhpolding wiederum ist eine Schlange mit Drachenkopf. Ihr rotes Halsband zeigt, dass sie der Macht ihres Besitzers und Meisters unterworfen ist (die Farbe Rot galt von Alters her als unheilabweisend). Sie trägt eine Krone und schlägt damit die Verbindung zu einem anderen Fabelwesen, zur Krönleinnatter:

Ladenschlange; © MIM by J. Georg Friebe

Die halbmondartigen, gelben Flecken auf den Wangen der Ringelnatter wurden von einfältigen Landleuten gerne als eine Krone gesehen. Die Sage berichtet: Wer der Schlangenkönigin das Krönlein abjagen konnte, dem waren Glück und Reichtum beschieden, denn das Schlangenkrönlein galt - ähnlich dem Drudenfuss - als Universalmittel gegen alle Arten von Krankheiten und Verhexungen. Wer es stehlen wollte, musste behutsam ans Werke gehen, damit es ihm nicht so erginge, wie dem Mann, von dem eine Vorarlberger Sage berichtet:

Einst versuchte ein vorarlberger Bauer sein Glück, als er an einem Weiher spazieren ging. Die Schlange war baden gegangen, und hatte ihr Krönlein in einer kleinen, ehernen Schatulle am Ufer verwahrt. Der Bauer fand das Kleinod, entwendete es, und rannte so schnell ihn seine Füsse trugen. Dennoch sah er sich bald von zischend züngelnden Schlangen verfolgt: Alle Nattern der Umgebung waren ihrer Königin zu Hilfe geeilt. Da verliess ihn der Mut, und er warf das Krönlein von sich. Er konnte entkommen und gelobte, niemals wieder die Schlangenkönigin bestehlen zu wollen.


Dazu der Originaltext:

Grad nett disel Zit, wo der Ma d's Krönli g'funda und g'stohla hat, hat sie weder im Weiher b'badet. Wia sie aber us 'em Bad kriecht, und im isena Schatülleli ihr'n Kopfschmuck nümma findt, macht sie an luta Pfiff, und uf da Pfiff, sind viel hundert schneewiisse Schlanga fürako und wia en Pfeil dem Krönli-Schelm nochg'schossa. Sie hond a o bald verwüscht; er aber ist so g'schid und verwürft d's Krönli, und kunnt so de Schlangan ab; denn dia sind jetzt umkehrt, und hond d's Krönli der Künige weder b'brocht.


Quellen

  • mdl. Mitt. Museumsaufsicht Bad Tölz
  • Vonbun, Franz J. (1847): Volkssagen aus Vorarlberg. - 92 S., Innsbruck (Wagner'sche Buchhandlung) und Wien. - Reprint 1979, Bregenz (Lingenhöle).
  • Abbildung: © MIM by J. Georg Friebe; Skizze nach einem Original im Heimatmuseum Ruhpolding / Bayern.


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© MIM by J. Georg Friebe
Erstellt 15.08.1999 / Aktuelle Version 09.06.2002