Drachen in der

Sarajevo-Haggadah



Das Nationalmuseum von Bosnien und Herzegowina in Sarajevo beherbergt einen der grössten Schätze der frühen jüdischen Literatur: die sogenannte Sarajevo-Haggadah. Die wörtliche Übersetzung wäre „Geschichte“ oder „Erzählung“. Tatsächlich wird der erzählerische Teil der Talmud-Literatur als Haggadah bezeichnet. Doch dieser Name ist auch für andere Bücher in Verwendung – für Zeremonienbücher für das Passah-Fest, mit dem die Juden der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei gedenken. Lange Zeit hatte dieses Fest keine einheitliche Form. Übereinstimmung herrschte nur hinsichtlich seiner Anfänge als Opferfest. Vor dem Auszug aus Ägypten sollten die Israeliten am 14. Abend des Monats Nisan ein männliches Lamm oder Kitz, nicht älter als 1 Jahr, schlachten und mit dessen Blut Torpfosten und Türsturz bestreichen, auf dass der HErr die Seinen erkenne und verschone (Exod. 12). Der Rest des Tieres sollte gebraten und noch in derselben Nacht im Familienkreis verzehrt werden. Bekannter ist die Vorschrift, während 7 Tagen kein gesäuertes Brot essen zu dürfen. Grundlage dieser Überlieferungen ist wohl ein gemeinsames Stammesopfer und –essen, das die Gemeinschaft vor bösen (auch übernatürlichen) Kräften schützen sollte. Wann dieses Mahl in ein Erinnerungsfest an die Befreiung umgedeutet wurde, lässt sich nicht mehr beantworten. Rund um das Fest entwickelte sich eine ganze Reihe von Regeln und Vorschriften, die schliesslich in einem Zeremonienbuch, der Haggadah, festgehalten und normiert wurden.



Die Sarajevo-Haggadah gehört zu den schönsten illuminierten jüdischen Manuskripten des Mittelalters. Entstanden ist das Buch nach 1350 in Spanien. Um 1490 gelangte es nach Italien, wo es noch 1609 nachweisbar ist. Nach Bosnien kam es mit einer sephardischen Familie, die es schliesslich aus Geldmangel verkaufte. Über mehrere Zwischenstationen gelangte die Handschrift ans Museum. In der Nazi-Zeit wurde die Herausgabe (und damit möglicherweise die Vernichtung) mit der Notlüge verhindert, ein anderer Offizier habe das Buch bereits abgeholt. Und auch den jüngsten Bürgerkrieg hat es (kaum mehr als 50 Meter neben der Front) überstanden.



Die ersten 34 Blätter enthalten ausschliesslich Miniaturen – Szenen aus dem Pentateuch, den 5 Büchern Mose. Auf weiteren 50 Blättern folgt der zugehörige Text. Auch diese Seiten sind reich illuminiert, mit aufwendigen Initialen und kleinen Figuren versehen. Als Besonderheit bildet eine Sammlung von Gedichten und rituellen Texten den dritten Teil. Gerade der mittlere Teil enthält eine Unzahl von drachenartigen Fabeltieren, denen aber anscheinend keine besondere Bedeutung zukommt (in der Beschreibung des Buches werden sie nur am Rande erwähnt).



Der Haupttypus ist ein zweibeiniges, geflügeltes Mischwesen, mit einem langen Schwanz, der fast immer in florale Motive übergeht. Für die Köpfe standen wohl Hunde Modell, aber auch Vogelköpfe gibt es, und sogar einen Menschenkopf. Manchmal sind zwei dieser Wesen mit ihren Schwänzen verschlungen. Die Flügel sind gleichermassen vom Vogel wie von der Fledermaus entlehnt.




  Die weissen Tiere auf blauem Grund in den Initialen (hier stark vergrössert) ähneln eher zerzausten Vögeln denn Drachen.  





Quellen

  • Anonymus: The Sarajevo Haggadah. - Facsimiledruck von Mladinska Knjiga (Ljubljana), o.P., Sarajevo (Zemaljski Muzej Bosne i Hercegovine) 1999.
  • Werber, E. (1999): The Sarajevo Haggadah. – 45 S., Sarajevo (Zemaljski Muzej Bosne i Hercegovine / Svjetlost).


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© MMII by J. Georg Friebe
Erstellt am 09.06.2002