Auf der Suche nach der Tarasque
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Nicht nur die Tarasque führte mich heuer auf Spurensuche nach Südfrankreich. Tarascon scheint natürlich als der ideale Ort, um Drachenspuren zu entdecken. Das auffallendste Bauwerk der Stadt ist zweifelsfrei das Château du Roi René. Die wuchtige Burg steht unmittelbar an der Rhone. In ihrem Inneren birgt sie eine Reihe von Tapisserien, die den Taten des Scipio gewidmet sind. Neben heroischen Szenen findet sich auch ein Flussgreif, getreu seinen antiken Vorbildern. |
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Vom höchsten Turm der Burg bietet sich ein eindrucksvoller Blick über die Stadt und hinüber nach Beaucaire. Für den Drachenfan interessanter sind die Wasserspeier, die zwar kaum wie "richtige" Drachen aussehen (aber was ist schon ein "richtiger" Drache!), aber den Aufstieg rechtfertigen sie allemal. Und natürlich hat man einen guten Blick auf die Kirche Ste-Marthe. Ob man aber als Drachenfan Grab und Reliquiar derjenigen Person, welche die Tarasque bezwang, eines Besuches für wert hält, sei jedem selbst überlassen. Die Kirche birgt immerhin ein Altarbild, das die Heilige mit dem Untier zeigt. |
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Ansonsten ist der Drache in Tarascon wenig präsent. Im Schaufenster des Tourismusbüros findet sich ein Holzmodell des Ungeheuers, sowie ein Kinderbuch über die Heilige Martha in englischer Sprache. Nein, das Buch wird hier nicht verkauft, ein Tourismusbüro ist ja kein Geschäft. Eigentlich logisch. Aber in den Buchhandlungen ist dieses Buch natürlich unbekannt. Immerhin gelingt es mir, eine Broschüre über La Tarasque zu ergattern. Und einige Ansichtskarten. Und dann gibt es noch eine Patisserie "La Tarasque", in der Schokolade-Versionen des Drachens angeboten werden. Als Souvenir sind diese freilich nicht geeignet, und wie sie schmecken habe ich nicht ausprobiert.
Das war's aber auch schon. Kein Museum, das die Geschichte der jährlichen Umzüge erläutert, kein Gedenkstein, nichts. Aber auch sonst erscheint mir Tarascon als eine langweilige Stadt. Vielleicht deswegen, weil es keinen zentralen Platz gibt, keine Strassencafes (ausser wenig gemütlich an der Hauptstrasse), keine Geschäftsstrasse. Irgendwie enttäuschend.
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Ganz anders Arles. Man mag an van Gogh denken, und sich wundern, was Arles mit Fabeltieren zu tun hat. Aber Arles ist eine Stadt mit 2000-jähriger Geschichte. Dem antiken Arles ist ein eigenes Museum gewidmet, das schon aufgrund seiner Architektur auffällt. Ein sachlicher Bau mit dreieckigem Grundriss, verkleidet mit blauen Glasplatten, erhebt sich direkt neben der antiken Pferderennbahn. Drachen birgt das Museum keine, aber sehenswerte Greifen, Kentauren, Medusen und andere klassische Fabelwesen. Auch wenn das Museum recht konventionell eingerichtet ist und ausschliesslich französische Objektbeschriftungen bietet, kann ich es aufgrund der Qualität der Exponate nur empfehlen. |
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In Arles steht aber auch die Kirche, die dank van Gogh weltbekannt ist: St-Trophime. Durch einen Nebeneingang erreicht man den Kreuzgang mit seinen interessanten Kapitellen. Drachen sind einige zu entdecken, und irgendwo soll auch die Legende der Heiligen Martha samt Tarasque abgebildet sein. Sicher identifizieren konnte ich sie nicht. Leider sind die Kapitell bereits sehr verwittert, sollen aber in absehbarer Zeit restauriert werden. In einem der Nebenräume wurde gerade eine Sonderausstellung mit Heiligenfiguren und –bildern vorbereitet. Unter den Statuen befand sich ein schöner Heiliger Georg, den ich aber nur aus der Ferne bewundern konnte. |
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Ein unbedingte Muss ist aber das Musée Arlaten. Als Departementmuseum zeigt es alle Aspekte der Volkskunst der Region. Und somit kann es die Tarasque nicht ignorieren. Was als erstes ins Auge sticht, ist eine alte Holz-Tarasque, die einst in Tarascon für die alljährlichen Umzüge eingesetzt worden war. Auf einem Relief eines Künstlers namens Amy von 1884 ist das Tier mit Zitzen dargestellt, also eindeutig weiblich, während ich auch schon vernommen habe, das "La Tarasque" trotz des vordergründig weiblichen Artikels ein männlicher Drache gewesen sein soll. Die häufigste Darstellungsart zeigt das Tier mit sechs Beinen und schildkrötenartigem Köper. Die Beine des letzten Opfers baumeln noch aus dem Maul. So erscheint die Tarasque auf alten Stichen und Gedenkplaketten, aber auch als Wachsmodell. So nebenbei erfährt man, dass die Legende aus dem 12. Jahrhundert datiert. |
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Auch die anderen Exponate in diesem Saal sind interessant. Eine grosse Vitrine ist der Volksmagie und dem Aberglauben gewidmet, und den Amuletten, die gegen die Macht des Bösen schützen sollten: So sollten beispielsweise versteinerte Seeigel als "Pèiro de Saint Estève" an die Steinigung des Heiligen Stephan erinnern und das Haus vor Blitzschlag und Verhexungen schützen, wenn sie in die Wand eingemauert wurden. |
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Von Arles ist es nur ein kurzer Weg zur Abbaye de Montmajour. Diese grossartige Klosterruine darf auf einer Drachensuche keinesfalls übergangen werden. Die Kapitelle im ehemaligen Kreuzgang sind besser erhalten wie die von Saint-Trophime. Zwei Konsolen zeigen jeweils ein Ungeheuer, das gerade eine Menschen verschlingt. Folgerichtig werden diesen Darstellungen als Tarasque bezeichnet. |
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Avignon sei hier nur kurz erwähnt. Wer wenig Zeit hat, sollte sich nicht lange mit dem Papstpalast aufhalten. Weitaus interessanter ist das Musée Petit Palais mit seiner reichhaltigen Sammlung spätromanischer und gotischer Gemälde. In einem der letzten Räume befindet sich eine Statue der Heiligen Martha, die auf der Tarasque steht. Zwei weitere Bilder zeigen den Heiligen Michael als Drachenbezwinger. Auch wenn dies die einzigen Drachendarstellungen sind, sollte dennoch einige Zeit für den Besuch dieser grossartigen Gemäldesammlung eingeplant werden. |
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Zum Schluss möchte ich auf das Kloster Saint-Paul-de-Mausole nahe der Stadt Saint-Remy-de-Provence hinweisen. Der Kreuzgang birgt eine Darstellung, die auf den ersten Blick nicht mit Drachen in Verbindung zu bringen ist. Es handelt sich um eine interessante Abart des Seelendrachen-Motivs. Auf den Kapitellen einer Doppelsäule finden Spiralornamente. Die Spiralen haben ihren Ursprung im Mund eines eher zoomorphen denn anthropomorphen Gesichts, das sich zwischen den beiden Säulen befindet. Statt zu einem floralen Motiv wurden die Seelendrachen zur abstrakten Spirale reduziert. |
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© MMIII by J. Georg Friebe
Erstellt am 11.10.2003
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