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Die Siegesgöttin mutiert zum Engel



Wer den Himmel durcheilen will, braucht Flügel. Besondere Flügel tragen die Götterboten, die Vermittler zwischen Götterwelt und Menschheit.


Nike mit Siegeskranz und Palmzweig - Marmorrelief aus Ephesos (Türkei); © J. Georg Friebe  

Eine der ältesten und bekanntesten Flügelgestalten war die griechische Siegesgöttin Nike. Während der Sieg selbst von den olympischen Göttern verkörpert wurde (Zeus und Athene im Wettkampf und Krieg, Apollon im musischen Wettstreit), war Nike die Mittlerin zwischen den Göttern und den siegreichen Menschen. Dank ihrer Funktion als Botin waren Flügel ihr unverwechselbares Kennzeichen.


 

Ihr römisches Gegenstück, Victoria, sicherte den Kaisern ihre politischen und militärischen Siege. Damit hielt sie Einzug in die Propaganda- und Repräsentationskunst der Römer. Im Gegensatz zur griechischen Nike wurde die römische Victoria kultisch verehrt.


Traian (98 - 117 AD), As oder Dupondius, 28 mm Durchmesser, Fundort Brigantium - Bregenz; © J. Georg Friebe  

Alltagskunstwerke, die ganz der Propaganda dienten, waren die Münzen. Während ihre Vorderseite (Avers) der Kopf des Kaisers (oder eines nahen Verwandten) zierte, konnte auf der Rückseite (Revers) auf aktuelle Ereignisse, aber auch auf die ganz persönliche Beziehung zwischen Kaiser und Gottheit hingewiesen werden. So zeigt ein As des Traian (98 - 117 n.Chr.) eine schwebende Victoria, die einen Schild mit der Aufschrift "SPQR" trägt (Senatus PopulusQue Romanus – Senat und Volk Roms). Die Umschrift nennt die Ehrentitel des Kaisers. Auf anderen Victoria-Münzen feierte Traian seinen Sieg über die Dacer.


 

In späteren Jahrhunderten sollten Darstellungen der Victoria über die Zerfallserscheinungen des Riesenreiches hinweg täuschen. Eine Münze des Valens (364-378 n. Chr.) zeigt Victoria mit Siegeskranz und Palmzweig. Die Umschrift SECURITAS REI PUBLICAE lässt keinen Zweifel: Die Sicherheit des Reichs wird durch Victoria und den Kaiser garantiert.

  Valens (364-378 AD), Münzstätte Siscia, Mittelbronze, Durchmesser ca. 19 mm; © J. Georg Friebe

 
frühchristlich-byzantinischer Engel mit Friedenstaube - Museum Antalya (Türkei); © J. Georg Friebe  

Heute denken wir bei Flügelmenschen und Götterboten sofort an Engel. Tatsächlich wurde das Bild der Victoria im Christentum fast unverändert übernommen. An Stelle des Siegeskranzes trat nun das Kreuz. Und noch etwas fällt bei frühchristlichen und byzantinischen Engeln auf: Sie sind männlich. Erst im Mittelalter entstand das heutige Bild des Engels als zeitlos schöne, ätherisch leichte, geflügelte Frau.

  Engel - Musée Mandet, Riom (Frankreich); © J. Georg Friebe

 

Siegesgöttin - Kapitell, 12. Jhdt., Mozac (Frankreich); © J. Georg Friebe

 
Diese "Siegesgöttin" aus dem 12. Jahrhundert in der Kirche von Mozac (Frankreich) erinnert vielleicht an den altrömischen Brauch, bei Siegesfeiern Schilde mit den Namen der Heerführer zu schwenken. Sie hat nur noch wenig Ähnlichkeit mit ihren antiken Vorbildern: Die geflügelte, bis auf ihren Helm nackte und geschlechtslose, auf Acanthusblättern kniende Gestalt wäre wohl eher als "Schutzgeist" zu bezeichnen.


 

Quellen

  • Kankelfitz, B.R.: Römische Münzen. Von Pompejus bis Romulus. Mit einer Einführung in das gesamte Römische Münzwesen bis zum Ende des byzantinischen Kaiserreichs. - 568 S., Augsburg (Battenberg), 1996 (4. Aufl.).
  • Wamser, L. (Hrsg.) / Zahlhaas, G. (Red.) (2000): Pferdemann und Löwenfrau. Mischwesen der Antike. - Ausstellungskataloge der Archäologischen Staatssammlung, Bd. 31: 176 S., München.
  • alle Abbildungen © J. Georg Friebe - Münzen: Privatbesitz


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© MMIII by J. Georg Friebe
Erstellt am 10.08.2003