La Tarasque



Ansichtskarte - La Tarasque En Provence - La Tarasque - LL.
Selecta - Levy et Neurdein Reunis - 44, Rue Letellier - Paris.


Vor langer Zeit entstieg in Frankreich ein Monster dem Mittelmeer und wählte den Fluss Rhone als sein neues Zuhause. Diese Drachin war zur Hälfte Landsäugetier, zur Hälfte aber Fisch! An Grösse übertraf sie zwölf Elefanten, im Maul blitzten Zähne schärfer als Schwerter, und ihre Haut war hart wie Stahl. Ihr Name war Tarasque, und sie hatte berüchtigte Eltern: Der Leviatan, der Seedrache der Bibel, war ihr Vater, und die Riesenschlange Onachus ihre Mutter.

Wo immer das Untier erschien, verbreitete es Angst und Schrecken. Selbst die Tiere flohen vor ihr. Ganze Dörfer zerstörte die Drachin, und ihr giftiger Atem wirkte wie Feuer. Manch ein Held versuchte das Untier zu töten - und starb dabei selbst den Heldentod.

Sieben Jahre zogen ins Land. Da fand ein Bauer die Drachenhaut und hielt die Tarasque für tot. Doch die Freude währte nicht lange: Obwohl eine Mischung aus Säuger und Fisch, musste die Drachin alle sieben Jahre (wie die Schlangen) sich häuten.

Sieben weitere Jahre vergingen. Längst hatte die Tarasque alle Brücken zerstört. Wer es dennoch wagte, den Fluss zu durchqueren, wurde von der Drachin verschlungen. Einen letzten Versuch unternahm die Bevölkerung, die Plage zu bannen. In der Nähe von Avignon befand sich ein tiefer Sumpf. Wer dort hinein geriet, war auf ewig verloren. Dorthin sollte die Drachin gelockt werden. Als Köder wurde Vieh an die Bäume gebunden. Zunächst schien alles zu klappen. Doch am Rande des Sumpfes machte das Untier kehrt und stürzte zurück zum Fluss. Denn der Sumpf gehörte zum Reich des Teufels, und der Instinkt ihrer teuflichen Vorfahren hatte die Drachin gewarnt.

Und wieder mussten sieben Jahre in Schrecken vergehen. Doch dann kam Hilfe übers Meer in Gestalt der Heiligen Martha. Unerschrocken trat sie der Tarasque entgegen - barfuss, und mit keiner anderen Waffe als einem Krug voll Weihwasser. Natürlich wollte die Drachen ihre Widersacherin verschlingen, und doch wurde sie durch das Zeichen des Kreuzes gebannt. Martha führte das Untier in die Stadt, wo die die Bevölkerung es erschlug. Eine Kirche wurde zu Ehren der Heiligen errichtet. Und die Stadt änderte ihren Namen in Tarascon. Ste-Martha, 15 kb
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Unübersehbar sind die Paralleln dieser provencalischen Sage zu jener vom Klagenfurter Lindwurm. Tarasque wie Lindwurm stehen für die unvorhersehbaren Kräfte des Flusses, der immer wieder seine Opfer forderte. Doch in beiden Fällen wurde das Untier gebannt. Und hier unterscheiden sich die beiden Geschichten: In Klagenfurt waren es beherzte Bauern, denen es mit einem Ochsen als Köder gelang, den Drachen aus seinem Versteck im Sumpf zu locken und zu erschlagen. Genau diese Methode scheiterte in Tarascon. Hier sollte im Gegenteil die Drachin im Sumpf untergehen. Doch der Sumpf war des Teufels, und das Untier wurde gewarnt. Eine stärkere Kraft, eine Heilige musste die Drachin bezwingen. Doch im Gegensatz zum Heiligen Georg erschlug Martha die Drachin nicht. Dies besorgten die erzürnten Bewohner, nachdem Martha das Untier am roten Gürtel in die Stadt geführt hatte.

Noch heute gedenkt Tarascon alljährlich der Drachin. In einem grossen Umzug wird die Tarasque durch die Stadt geführt.



Quelle:

  • Früh, Sigrid (Hrsg. u. Vorw.) (1988): Märchen vom Drachen. - Fischer TB Bd. 2875, 172 p., Frankfurt a./Main (Fischer).

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© MCMXCVI - MMIV J. Georg Friebe
Englische Fassung 1996 / Deutsche Version 31.12.2004